Reinhold Schneider
Ein Auswandererschicksal
Von dem nach Amerika ausgewanderten Ludwig Korn, geboren am 22. November 1863, Metzger, der wegen „Jugendthorheiten“, wie er sagt, seine Heimat verlassen hatte, sind einige Briefe erhalten geblieben. Ausführlich schildert er in seinem ersten Brief vom 28. Februar 1886 an seinen Vetter (?) die Überfahrt, den wir hier teilweise im Original wiedergeben: „Wie Du weißt bin ich Mittwochs den 12ten März1) eingeschifft worden. Von Anfangs ging die Fahrt sehr gut bis zum fünften Tage, dann fing es an zu stürmen. Am siebten Tag wurde der Sturm zu einem Orkan. Das große schwere Schiff wurde herumgeworfen wie eine Nußschahle. Als der Sturm sich etwas legte bekamen wier einen Nebel so dicht daß man kaum auf zehn Schritte sehen konnte. Die Ursache davon war daß das Schiff eine Nacht nicht fahren konnte weil man sonst befürchte mußte mit einem andern Schiff zusammen zu stoßen. Den zweitletzten Tag bekamen wir helles kaltes Wetter und je mehr wier uns Amerika näherten desto kälter wurde es. Morgens den 22ten März sahen wier Land aber es wehte ein so scharfer Wind daß wir uns gleich wieder in unser warmes Zwischendeck flüchteten. Das Wasser welches der Wind aufs Verdeck peitschte fror sofort an die Tauen, die Schiffsleitern sogar der Hauptmast war mit halbfuß dickem Eis bedeckt. Auf dem Verdeck lag das Eis schuhdick. Mittags wurden wir in Hoboocken ausgeschifft und dann wurden wir von einem kleinen Dampfer abgeholt und nach dem Castelgarten gefahren. Vom Castelgarten aus ging ich mit einem andern Deutschen nach der badischen Heimath ein kleines Hotel in New York.“
Bevor er zur Familie seines Onkel Hans weiterfuhr, schaute er sich 4 Tage die Sehenswürdigkeiten New Yorks an. „Insbesondere die große Broockliener Brücke welche eine halbe Stunde lang ist 2). Auch besuchte ich den Zirkus welcher der größte der Welt ist“.
Die Fahrt nach Cincinati dauerte ein Tag und zwei Nächte.
Von Onkel Hans, der in Cincinati wohnte, erhoffte sich Ludwig Korn einen Hinweis auf eine Arbeitsstelle. Da dieser aber nichts für ihn tun wollte, entschloss er sich nach Texas zu reisen. Die Fahrt kostete 23 Dollar und dauerte bis Austin, der Hauptstadt von Texas, 2 Tage und 3 Nächte. Dort hätte er Arbeit bei einem amerikanischen Metzger bekommen können. Aber die gefiel ihm nicht. „Im Hotel traf ich einen jungen Deutschen welcher auf einer Farm gearbeitet hat. Er erzählte mir er hätte gehört in Fort Crecho welches 240 Meilen von Austin entfernt ist wäre es sehr gut. Ich entschloß mich mit ihm dorthin zu reisen. Wir brauchten vier Wochen bis wir dorthin kamen denn wir mußten laufen weil keine Eisenbahn dorthin geht. Es war eine abenteuerliche Reise. Wir mußten ein paar Flüsse durchschwimmen schossen uns Hasen und Präriehunde welche wir brateten. Butter und Brod bekamen wir von den Farmer. Nachts (legten) wir uns ein Campfeder an wo wir schliefen. Wir tödeten 9 Klapperschlangen die’s hier in Texas viele gibt, sahen Wölfe, Antilopen, Hirsche, Waschbären, Stinkkatzen, Biber, Scorpionen und Taranteln.“
In fort Cocho konnten sie aber keine Arbeit finden und so machten sie sich auf nach Colorado City, das einhundert Meilen entfernt an einer Eisenbahnlinie lag. Dort schlupften sie in einen leeren Frachtwagen und fuhren bis El Paso, nahe der mexikanischen Grenze. „Wir fuhren ungefähr vierzig Meilen in Mexiko hinein, gefiel uns aber nicht bei den braunen Mexikaner welche spanisch sprechen und so reisten wir wieder nach El Paso. Dann gings durch New Mexiko wo die Apachenindianer auf dem Kriegspfad waren welche vor ein paar Tagen 70 Personen ermordeten. Von New Mexiko gings nach Arizona welches der heißeste Staat von den vereinigten Staaten ist. Hier sah ich die meisten Indianer nämlich die Pagokos die Yuma die Manutain, die Apaches und die Punblaindianer. Außer den in Arizona sah ich ein Stamm in Californien ein in Newade und ein in Utha. In Arizona verlor ich meinen Reisekolege.“
Von Südkalifornien reiste er über San Franzisko wieder nach Cincinati. Er brauchte zehn Wochen, denn der Weg war dreitausend Meilen lang und er hatte keinen Cent in der Tasche. Dort bekam er am dritten Tag auch gleich Arbeit in einem „Porkhaus“. Da schlachtete man täglich 3-400 Schweine. Nach 5 Wochen war die Arbeit zu Ende und schlechte Aussichten anderweitig Arbeit zu bekommen.
Seinen nächsten Brief schrieb er am 10. Januar 1888 von Saint Paul, Minnesota, an seinen Onkel (?). In ihm berichtete er, dass er von Cincinati nach Louisville/Kentucki reiste und dort zwei Monate am Ohiofluss arbeitete. Danach fand er drei Monate Arbeit auf einer Zuckerplantage in New Orleans.
„Von da reiste ich hinweg nach Tennessee wo ich dann ein Monat an einer neuen Eisenbahn arbeitete..... Als mein Monat aus war reiste ich nach dem Norden nämlich nach Dakota. Dort bekam ich Arbeit an einer großen Farm. Der Farmer war ein Norweger. Ich verdingte mich zu ihm für 1,75 (Dollar) per Tag Kost und Logis. Er war sehr zufrieden mit mir und als nach 3 ½ Monaten die Feldarbeit fertig war und ich fortging gab er mir 2 Dollars per Tag und sagte ich soll nächstes Jahr wiederkommen.“
Ludwig Korns nächstes Ziel war Saint Paul in Minnesota. Dort erwarb er sich gute Winterkleidung und begab sich nach Wisconsin, wo er einen Monat im Urwald arbeitete. Aber die harte Arbeit zu kalter Jahreszeit gefiel ihm nicht. Er ging deshalb wieder zurück nach Saint Paul.
Seiner jüngeren Schwester schrieb er in einem Brief vom 19. Februar 1889, daß er die „Metzerei“ aufgegeben und schon beinahe die ganzen Vereinigten Staaten von Nordamerika bereist habe. Man müsse einen festen Charakter haben um den Versuchungen zu widerstehen, denn in Amerika werde zu schnell gelebt und von Gemütlichkeit wisse man nichts. In Gedanken an die deutsche Heimat und an seine Schwestern habe er auch einmal in großer Not seine Selbstmordgedanken vertrieben und seinen Revolver weggeworfen.
Von dem im vergangenen Sommer verdienten Geld brauche er im Winter nicht zu arbeiten und besuche die Handelsschule in St.Paul um die englische Buchführung und alles was dazu gehöre, zu erlernen. Und wie er in seinem Brief vom 1. Juni 1892 schrieb, wolle er das auch in diesem Herbst (1892) tun. Derzeit arbeite er in einem En Gros Eisenwarengeschäft und bekäme 40 Dollar im Monat.
Im Brief an seine Schwester Gretchen vom 1. August 1892 berichtet er, daß sein einziges Vergnügen das Turnen sei und sein Verein beim Bezirksturnfest in Duluth (150 Meilen von St.Paul am See Superior) viele Preise erringen konnte.
Sein nächster Brief vom Mai 1894 kam aus Comstock/Wisconsin an sein „Liebes Schwesterchen“ (damit meinte er die jüngere Schwester Margaretha). Aus ihm ist zu entnehmen, dass zu jener Zeit „viele Tausend Arbeiter auf öffentliche Wohltätigkeiten angewiesen sind um nicht zu verhungern. Auch ich blieb von den schlechten Zeiten nicht verschont indem ich meine alte Stelle in St.Paul dadurch verlor, und ich genöthigt war mich anderweitig um Arbeit umzuschauen, was mir auch nach etlichen Wochen Herumlaufens schließlich gelang“.
Im Frühjahr 1895 erwarb er sich 40 Acker3) Land zu 7 Dollar per Acker. Er glaubte jetzt sein eigener Herr zu sein. Später scheint er es jedoch wieder verkauft zu haben, denn im Brief vom 6. Oktober 1898 an seine „Herzensschwester“ läßt er verlauten: „Da sitze ich nun in meiner Junggesellenklause und ärgere mich warum ich eigentlich den Dummen Streich begangen habe und mir Lande gekauft habe .... Ich werde daher, wann sich ein Käufer findet, mein Land losschlagen..... Ich muß für heute aufhören, denn ich bin schläfrig, müde und matt wie ein abgehetzter Jagdhund und sehne mich nach Ruhe. O, wenn nur die ewige Ruhe einmal da wäre!“
Seinen nächsten Brief verfasste er am 25. Februar 1900 in Tacoma im Staate Wahsington, 2000 Meilen von St.Paul. In ihm beschreibt er ausführlich das Land mit seinen ungeheueren Wäldern und dem Klima einerseits der Gebirgskette, die das Land durchzieht und der Wüste mit ihren Salbeibüschen aus der anderen Seite. „Ich arbeite in einem Holzfällerlager. Der Lohn ist je nach Beschäftigung und Kenntnissen von $ 2 - $ 3 den Tag. Kost 20 C(ent) die Mahlzeit.“
Er schwärmt aber von den Goldsuchern in Alaska, weitere 2000 Meilen von Tacoma.
So kommt auch schon sein nächster Brief an seine „Theuere Schwester“ vom 26. Februar 1901 aus Seattle, in dem er berichtet, daß er zwar schönes Geld verdient habe (2,75 $ 4) per Tag), aber auch viel Pech. „Im September wurde ich beinahe von einem Baum todtgeschlagen er traf mich auf den Kopf und schlug mich bewußtlos. Ich wurde nach Seattle transportirt und in ein Hospital untergebracht. Nach 3 Wochen war es mir möglich wieder zur Arbeit zu gehen, kehrte nach der Camp zurück, und 14 Tage darauf haute ich mir mit der Axt in den linken Fuß. Die Wunde war nicht sehr schlimm und ich vernachlässigte es; Blutvergiftung trat ein und ich mußte wieder nach Seattle (sprich Si-ätl) in das Hospital. Kurz nach Neujahr bekam ich einen Anfall der La Grippe und verlor beinahe das Gehör. 3 Wochen zurück bekam ich in 2 Fingern Blutvergiftung, und die Folge davon – Abwarten in Seattle bis sie geheilt sind. Du siehst also – Glück muß der Mensch haben.“
Auch hierin berichtet er wieder in allen Einzelheiten über die Landschaft mit ihren Bergen und Seen.
Seiner „lieben Schwester“ schreibt er nun von Ketschikan am 9. Juni 1905, dass er sich in den letzten 2 Jahren in Alaska befindet Der Lohnsklaverei entronnen, versucht er nun sein Leben durch die Pelzjagd zu gestalten. „Mit diesem Entschluß ging ich nach Idaho in die Gebirge, welches noch eine ursprüngliche Wildniß ist und übte mich auf der Jagd in der Winterzeit“, von etlichen Jägern beraten.
Trotzdem ging er wieder für 1 Jahr zu den früheren Holzfällern am Puged Sound. Mit 35 Dollar Erspartem brach er dann nach Alaska auf. Auch in diesem Brief beschreibt er ausführlich die Landschaft.
„Ich lebe jahraus jahrein in einem Zelt, habe einen Überfluß von frischer Luft, Wasser und Holz, fange meine eigene Fische und jage mein eigenes Wild und lebe frei wie ein Vogel ..... Wenn ich der Fische überdrüssig werde so nehme ich meine Büchse und schieße mir ein Hirsch oder Bergziege oder Stachelschwein oder Waldhühner. Zur Abwechslung schieße ich mir mitunter ein jungen Bär, ..... Letzten Sommer bin ich 2 Monate auf der Hirschjagd gewesen,. Man bekam 7 Cents für das Pfund Fleisch. Ich werde wahrscheinlich noch ein Jahr in dieser Gegend bleiben und dann wahrscheinlich entweder nach dem Inlande von Alaska oder British Columbia gehen.“
Am 20. April 1905 schrieb er noch einen Brief an seinen „werthen Vetter“, in welchem er berichtete, dass er in diesem Sommer für eine Compagny auf Fischfang war und nun bald wieder Zeit sei auf Pelz- und Hirschjagd zu gehen.
Seine letzte Nachricht stammt vom 21. September 1905 aus Ketschikan, in dem er seiner Schwester (Margaretha?) für ihren Brief dankt, nachdem er schon die Hoffnung auf ein Schreiben von ihr aufgegeben habe.
Nachdem Ludwig Korn seit dem Jahre 1907 als verschollen galt, ließ ihn seine Schwester Elisabetha durch ein Aufgebotsverfahren beim Amtsgericht Ludwigshafen vom 20. April 1918 für tot erklären.
Erläuterungen:
1) wenn das Datum „Mittwoch, 28. Februar“ stimmt, dürfte er bereits 1884 ausgewandert sein
2) gemeint ist ½ Stunde Fußmarsch
3) Acker = accre = Flächenmaß
4) $ = Dollar